Wenn der Nachbar mit dem Nachbarn streitet und beide Wohnungseigentümer sind
Der Bundesgerichtshof entscheidet eine Streitigkeit hinsichtlich des zuständigen Gerichts bei ehrverletzenden Äußerungen zwischen Wohnungseigentümern
Durch Beschluss vom 17.11.2016 hat der Bundesgerichtshof, dort der 5. Zivilsenat, zum Az. V ZB 73/16 entschieden, dass bei ehrverletzenden Äußerungen eines Wohnungseigentümers gegenüber einem weiteren Mitwohnungseigentümer und diesbezüglichen Ansprüchen auf Unterlassung bzw. Widerruf der Äußerungen, die in einer Wohnungseigentümerversammlung getätigt werden, diese Ansprüche als eine Streitigkeit im Sinne von § 43 Nr. 1 WEG anzusehen sind. Dies hat Konsequenzen für die Wahl des anzurufenden Gerichts, da insoweit für die von dem betroffenen Wohnungseigentümer verfolgten Unterlassungs- und ggf. Widerrufsansprüche das zuständige WEG-Amtsgericht für Binnenstreitigkeiten in erster Instanz das Amtsgericht ist, in dessen Bezirk sich das Grundstück befindet, und dieses örtlich und sachlich (unabhängig vom Streitwert) ausschließlich zuständig ist. Dies folgt aus § 23 Nr. 2c GVG erläutert der in der Kanzlei Stieder für Miet- und WEG Recht zuständige Rechtsanwalt Marc Hildebrandt.
Hintergrund und Konsequenz dieser Rechtsprechung, und dies ist insbesondere für Rechtsanwälte im Fachbereich Wohnungseigentumsrecht beachtlich, ist darüber hinaus, dass § 72 Abs. 2 S. 3 GVG zu berücksichtigen ist, d.h. im Falle eines Berufungsverfahrens bei den hier gegenständlichen Streitereien zwischen Wohnungseigentümer in der Eigentümerversammlung ist das ggf. nach Landesrecht vorhandene zentrierte Berufungsgericht als zuständiges Gericht anzurufen. So wäre beispielsweise für Berufungen des erstinstanzlichen AG Solingen in WEG Sachen entgegen der allgemeinen Regel nicht das LG Wuppertal, sondern das LG Düsseldorf für die Berufung zuständig, da dieses das zentrale Berufungsgericht für den OLG Bezirk Düsseldorf ist.
In der Sache geht es darum, ob Streitigkeiten wegen unwahrer Tatsachenbehauptungen bzw. ehrverletzender Meinungsäußerungen Wohnungseigentumssachen im Sinne des § 43 Nr. 1 WEG sind.
Nicht selten gibt es innerhalb von Wohnungseigentumsgemeinschaften, wie bei allen Nachbarschaftskonstellationen, ein erhebliches Streitpotential. Oftmals bricht sich dieses dann in der in der Regel nur einmal jährlich stattfindenden Eigentümerversammlung Bahn und es kann auch zu sehr persönlichen Auseinandersetzungen bis hin zu Beleidigungen kommen. Auch Streitigkeiten mit dem Verwalter hinsichtlich der Vornahme der „ordnungsgemäßen Verwaltung“ sind eher die Regel als die Ausnahme, wobei die Grenze zu ehrverletzenden Meinungsäußerungen und/oder unwahren Tatsachenbehauptungen dann doch eher die Ausnahmen bilden. Dennoch ist ein solches Wort („Du Idiot“) schnell in der Welt…
Die Frage der Einordnung einer solchen Streitigkeit ist bislang in Rechtsprechung als auch rechtswissenschaftlicher Literatur sehr unterschiedlich bewertet worden. Der Bundesgerichtshof weist in diesem Zusammenhang in seiner Entscheidung auch auf eine gleichzeitig bestehende Offenheit der Frage bzgl. der Zuständigkeit des anzurufenden Gerichts für Streitigkeiten zwischen einem Wohnungseigentümer und dem Verwalter des Wohnungseigentums nach § 43 Nr. 3 WEG hin.
Hinsichtlich der Streitigkeiten zwischen Wohnungseigentümern entscheidet der Bundesgerichtshof ausdrücklich (nur hierzu war er aufgrund des anhängigen Verfahrens angegangen) nunmehr dahingehend, dass eine Streitigkeit im Sinne des § 43 Nr. 1 WEG dann vorliegt, wenn ein Wohnungseigentümer von einem anderen Wohnungseigentümer auf Unterlassung bzw. auf den Widerruf von Äußerungen in Anspruch genommen wird, die er in einer Wohnungseigentümerversammlung getätigt hat, es sei denn, ein Zusammenhang mit dem Gemeinschaftsverhältnis der Wohnungseigentümer ist offensichtlich nicht gegeben, so RA Hildebrandt, zuständig für Miet- und WEG- Recht in der Kanzlei Strieder.
Hieraus folgt, dass zwar grundsätzlich bei Äußerungen im Rahmen einer Eigentümerversammlung es naheliegend ist, dass es sich um eine Wohnungseigentumssache im Sinne des § 43 Nr. 1 WEG handelt. Allerdings kann nach wie vor im Einzelfall eine anderweitige Bewertung erfolgen, wenn ein Zusammenhang mit dem Gemeinschaftsverhältnis offensichtlich nicht gegeben ist. Auf diesen Umstand müsste sich jedoch derjenige, der hieraus rechtliche Vorteile herleiten will, berufen und diese darlegen und ggf. beweisen. Es beliebt allerdings offen, wie dies zu bewerten ist, wenn bei zwei selbstnutzenden Wohnungseigentümern ein solcher Streit mit Beleidigungen im Treppenhaus erfolgt.
Hier kämme es sicher auf die weiteren Umstände an, wobei der BGH in seiner Entscheidung ausdrücklich den Rahmen der WEG- Versammlung als Anknüpfungspunkt heranzieht.
Bei der konkreten Einordnung kommt es nach Auffassung von RA Hildebrandt, schwerpunktmäßig im Bereich Miet- und WEG- Recht tätig, dennoch auf den Ort der Streitigkeit, den Anlass, sowie ausgehend von der Einschränkung des BGH, auf den inhaltlichen Bezugspunkt der Beleidigungen bzw. unwahren Tatsachenbehauptungen an.
Hinsichtlich der Streitigkeiten zwischen Verwalter und einzelnen Wohnungseigentümern hat der Bundesgerichtshof hierzu keine Entscheidungen getroffen. Allerdings ist aufgrund des Hinweises des Bundesgerichtshofes auf die gleichlautende Streitfrage bei Streitigkeiten zwischen einzelnen Wohnungseigentümern und dem Verwalter über die Verwaltungstätigkeit, davon auszugehen, dass der Bundesgerichtshof auch hier grundsätzlich davon ausgehen wird, dass es sich um eine wohnungseigentumsrechtliche Angelegenheit im Sinne des § 43 Nr. 3 WEG handeln wird.
Damit hat der Bundesgerichtshof einen entsprechenden Grundsatz aufgestellt, dass solche Streitigkeiten zwischen Wohnungseigentümern sowie einzelnen Wohnungseigentümern und dem Verwalter, die anlässlich der Wohnungseigentümerversammlung bzw. bezüglich der Verwaltertätigkeit stattfinden, als Wohnungseigentumssachen einzuordnen sind.
Die Konsequenzen hierzu sind hinsichtlich der gerichtlichen Zuständigkeit und den zu beachtenden Verfahrensregeln anhand des WEG-Gesetzes zu ziehen und entsprechend zu berücksichtigen.
Anlass der Entscheidung des Bundesgerichtshofs war dementsprechend auch die Frage einer fristgerecht eingereichten Berufung durch den Berufungsführer.
In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass es im Sinne des § 72 Abs. 2 S. 3 GVG nach landesrechtlicher Bestimmung zentrale Berufungsgerichte in WEG-Sachen geben kann, was für Wohnungseigentümer und deren Rechtsvertreter zur Konsequenz hat, dass im Falle der Berufungsführung genau und besonders zu beachten ist, dass das entsprechend zuständige Berufungsgericht auch tatsächlich angerufen wird.
In dem gegenständlichen Fall hatte der Berufungsführer allerdings das allgemein zuständige Berufungsgericht angerufen, und nicht das nach GVG bzw. landesgesetzlicher Bestimmung für WEG-Recht zuständige Landgericht.
In der Sache hatte der Berufungsführer jedoch vor dem Bundesgerichtshof Erfolg, da aufgrund der bislang nicht entschiedenen Frage der Zuordnung einer solchen Streitigkeit zum WEG-Recht von dem dortigen Berufungsführer nicht verlangt werden konnte, bei zwei in Frage kommenden Berufungsgerichten die entsprechende Berufung einzureichen. Das angerufene (im Ergebnis unzuständige) Berufungsgericht hätte dem Berufungsführer Gelegenheit geben müssen, einen entsprechenden Verweisungsantrag nach Darlegung der hier durch den Bundesgerichtshof nunmehr bestätigten Rechtsauffassung der Einordnung der Streitigkeit als Wohnungseigentumssache zu stellen.
Mit der Entscheidung des Bundesgerichtshofs ist allerdings nunmehr Klarheit in dieser Angelegenheit geschaffen, so dass zukünftig darauf zu achten sein wird, hier sowohl bei der Einreichung einer solchen Klage in der ersten Instanz das sowohl das örtlich als auch sachlich zuständige Amtsgericht zu berücksichtigen sowie im Falle einer zentralen Berufungsinstanz für Wohnungseigentumssachen für den jeweiligen OLG-Bezirk das zutreffende Landgericht zu bestimmen.
Insofern hat die Entscheidung erhebliche praktische Relevanz für Berater von Wohnungseigentumsgemeinschaften, Wohnungseigentümern sowie Verwaltern.
Von Strieder Rechtsanwälte, Rechtsanwalt Marc Hildebrandt (Mietrecht und Wohnungseigentumsrecht) (c) Christoph Strieder / Marc Hildebrandt (Rechtsanwälte in Solingen und Leverkusen)