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Arbeitszeiterfassung Pflicht für Unternehmer

Pflicht zur Arbeitszeiterfassung, zur Entscheidung des EuGH (Urteil vom 14. Mai 2019 (C-55/18))

Von Rechtsanwalt Martin Strieder, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Fachanwalt für Familienrecht, Berlin.

RA MARTIN STRIIEDER
RA Martin Strieder

Die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 14.05.2019 hat erhebliche Aufregung ausgelöst. Der Europäische Gerichtshof kommt zu dem Ergebnis, dass die Europäische Arbeitszeitrichtlinie vorschreibt, dass jeder Arbeitgeber die Arbeitszeit seiner Beschäftigten erfassen muss. Die Mitgliedsstaaten sind nach der Entscheidung verpflichtet dafür Sorge zu tragen, dass jeder Arbeitgeber ein objektives, verlässliches und zugängiges System einrichtet, mit dem die von jedem Arbeitgeber geleistete tägliche Arbeitszeit gemessen werden kann.

Problematik der Entscheidung des EuGH zur Arbeitszeiterfassung

Ausgangspunkt der Rechtsprechung des EuGH sind die Artikel 3, 5 und 6 der Europäischen Arbeitszeitrichtlinie, in denen vorgesehen wird, dass die Mitgliedsstaaten die „erforderlichen Maßnahmen“ treffen müssten, um die Einhaltung der werktäglichen und wöchentlichen Ruhezeiten sowie der wöchentlichen Höchstarbeitszeit sicherzustellen. Ohne eine Arbeitszeiterfassung könne weder die Dauer der Arbeitszeit noch ihr Beginn oder Ende verlässlich festgestellt werden. Daher sei eine Zeiterfassung zur Durchsetzung der Arbeitnehmerrechte erforderlich. Eine Aufzeichnungspflicht lediglich hinsichtlich der Überstunden, wie sie im konkreten Fall das spanische Recht vorgesehen hat oder wie sie auch in § 13 Abs. 2 des Arbeitszeitgesetzes in Deutschland vorgesehen ist, sei nicht ausreichend.

Im Prinzip hat der Europäische Gerichtshof nur auf das hingewiesen, was bereits in der Europäischen Arbeitszeitrichtlinie geregelt war. Soweit eine Arbeitszeiterfassung durchgeführt wird, ist die Rechtsprechung völlig unproblematisch. Brisant wird die Entscheidung nur dort, wo bislang die Arbeitszeit von Beschäftigten partiell überhaupt nicht erfasst wird. In diesen Fällen müssen Erfassungssysteme eingeführt werden.

freeimages.co.uk photos of objectsProblematisch werden in Zukunft allerdings mögliche Fälle bei ständiger Erreichbarkeit, beispielsweise, dass Mitarbeiter aufgefordert werden für Notfälle telefonisch oder elektronisch verfügbar zu sein. Verstöße hiergegen, also beispielsweise Anrufe oder die Reaktion auf E-Mails in diesen Bereitschaftszeiten könnten dazu führen, dass die ununterbrochene Ruhezeit, die gesetzlich vorgeschrieben ist, unterbrochen wird.

Eine weitere Problematik betrifft die Vertrauensarbeitszeit, bei der die Beschäftigten ihre vertraglich geschuldete Arbeitszeit selbst organisieren. Schon jetzt wird davon ausgegangen, dass der Arbeitgeber jedenfalls überwachen muss, dass auch bei der Vertrauensarbeitszeit die Arbeitszeitordnung eingehalten wird. Die neue Rechtsprechung wird allerdings zukünftig dazu führen, dass ein Arbeitnehmer seine Arbeitszeit zwar selbst einteilen kann, der Arbeitgeber jedoch zur Erfassung der geleisteten Arbeitszeit verpflichtet ist. Übrig bleibt dann lediglich die Befugnis des Arbeitnehmers, diese selbst einzuteilen.

Eine Erfassung der Arbeitszeit durch Aufzeichnung durch den Arbeitnehmer selbst wäre nach der Rechtsprechung des EuGH ausgeschlossen, da der EuGH ein „objektives, verlässliches und zugängliches“ Erfassungssystem fordert.

Notwendigkeit zu handeln?

Fraglich ist, ob derzeit eine aktuelle Handlungspflicht zur Arbeitszeiterfassung besteht. Ausgangspunkt des EuGH ist zunächst, dass er die Mitgliedsstaaten verpflichtet sieht, die „erforderlichen Maßnahmen“ zu ergreifen. Deutschland hat dies bislang noch nicht umgesetzt. In § 16 Abs. 2 des Arbeitszeitgesetzes ist bislang lediglich vorgeschrieben, dass der Arbeitgeber die über acht Stunden hinausgehende werktägliche Arbeitszeit dokumentieren muss. Zwar gibt es Stimmen in der juristischen Literatur, die meinen, man müsste diese Vorschrift jetzt gegebenenfalls „unionrechtskonform“ auslegen, und zwar dahingehend, dass grundsätzlich sämtliche Arbeitszeiten der Arbeitnehmer aufzuzeichnen sind (vgl. hierzu Ulber, NZA 2019, S. 680). Allerdings dürfte eine derartige Auslegung den Wortlaut des Arbeitszeitgesetzes zu sehr ausdehnen und eine solche Auslegung dürfte wohl eher nicht zulässig sein. Zudem hat der EuGH noch einmal betont, dass der jeweilige Gesetzgeber Gestaltungsspielraum habe, wie er die Arbeitszeiterfassung ausfüllen will. Dies steht dann ebenfalls einer „europarechtskonformen“ Auslegung des § 16 Abs. 2 entgegen. Denn der Deutsche Gesetzgeber hat bisher keine derartige Regelung getroffen.

Zusammenfassung

Zusammenfassend ist zu festzustellen, dass jedenfalls nach der derzeitigen Rechtslage davon ausgegangen werden muss, dass die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs nicht unmittelbar anzuwenden ist, sondern dass erst der Deutsche Gesetzgeber entsprechende Gesetze schaffen muss oder ggf. der Europäische Gerichtshof in späteren Entscheidungen eine Pflicht auf Grundlage des § 31 Abs. 2 der Europäischen Grundrechtscharta zur europarechtskonformen Auslegung des § 16 Abs. 2 des Arbeitszeitgesetzes normiert. Solange dies nicht der Fall ist und solange die deutschen Arbeitsgerichte nicht die Auffassung vertreten, dass § 16 Abs. 2 des Arbeitszeitgesetze „europarechtskonform“ auszulegen ist, besteht zunächst kein besonderer Handlungsbedarf, wobei allerdings zu beachten bleibt, dass auch bereits heute schon der Arbeitgeber verpflichtet ist, bei Anwendung von Vertrauensarbeitszeit zu kontrollieren, dass das Arbeitszeitgesetz eingehalten wird.

Autor und (c): RA Martin Strieder, Rechtsanwalt in Berlin, Facahnwalt für Arbeitsrecht und fachanwalt für Familienrecht (Fragen zur Arbeitszeiterfassung durch Unternehmen? Zur Homepage RA Strieder Berlin von Rechtsanwalt Martin Strieder)

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